Eine Geschichte, die sich in Thailand abgespielt haben soll: In den 1950er-Jahren musste ein buddhistisches Kloster umziehen. In dem Kloster gab es eine riesige Buddha-Statue aus Ton, die ebenfalls mit umziehen sollte. Als die Arbeiter die Statue anhoben, entstand ein Riss. Nach dem ersten Schreck untersuchen die Arbeiter ihn und leuchteten mit einer Taschenlampe hinein. Zu ihrer Überraschung sahen sie einen goldenen Schimmer. Sie entfernten den Ton an der Stelle und stießen – auf Gold! Als sie den kompletten Ton entfernt hatten, standen sie vor einer Buddha-Statue aus purem Gold.
Was war geschehen? Die Theorie ist folgende: In dem Kloster lebten vor langer Zeit einmal Mönche, die sich der Bedrohung eines Krieges gegenübersahen. Aus Furcht, dass die wertvolle goldene Buddha-Statue gestohlen werden könnte, versahen sie sie mit einer Schicht aus Ton. Tatsächlich wurde das Kloster dann während des Krieges angegriffen. Die Mönche wurden allesamt getötet. Und die getarnte Buddha-Statue geriet in Vergessenheit. Bis zu jenem Tag in den 1950er-Jahren.
Diese Geschichte ist bei Achtsamkeit-Coaches – und wahrscheinlich auch im Buddhismus – beliebt. Denn sie lässt sich so interpretieren, dass in jedem von uns ein solcher goldener Buddha schlummert, den wir nur freilegen müssen, um dann ein erfülltes Leben zu führen.
Mich hat die Geschichte noch auf einen anderen Gedanken gebracht: Was ist eigentlich auf die christliche Religion im Laufe der Geschichte so alles an Ton aufgetragen worden? Anders als die meisten glauben, ist die Quellenlage zu Jesus von Nazareth als historische Person im Vergleich zu anderen historischen Persönlichkeiten der Zeit, gar nicht übel. Es gibt vier verschiedene Evangelien als Zeitdokumente, darüber hinaus weitere zeitgenössische Quellen. Auch dass die Evangelien erst nach dem Tod Jesu aufgezeichnet wurden, teilweise einige Jahrzehnte später, ist für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich. Bei anderen Personen aus dieser geschichtlichen Epoche, deren Existenz als belegt gilt, ist die Zeitspanne zwischen Leben und Aufzeichnung noch weitaus größer. Hingegen können sich Persönlichkeiten aus weit späteren Epochen leicht als Mythos entpuppen. Bestes Beispiel: Klaus Störtebecker, den es als Person wohl nie gegeben hat.
Wir können also die Existenz Jesu, wenn wir den wissenschaftlichen Forschungen glauben, als belegt ansehen. Doch was ist mit der mythischen Figur? Deren Existenz wird von vielen bezweifelt. Ich sehe dafür zwei Gründe:
- Die Geschichten über die Wunder, die er gewirkt haben soll, und der Auferstehung.
- Den „Ton“, der in 2.000 Jahren auf sein „goldenes Antlitz“ aufgetragen wurde.
Was ist das Wahre? Was wollte Jesus? Was ist das Goldene? Das sind Fragen, denen ich nachgehen will. Und auf die ich noch keine Antwort habe. Nur ein paar erste „Risse“, an die ich den „Meißel“ ansetzen kann:
- Es gibt Beispiele in den vier Evangelien, die die Vorurteile der Zeit gegenüber einzelnen Personengruppen zeigen. In dem einen Evangelium fragt ein Pharisäer neutral bei Jesus nach, in dem anderen wird ihm eine böse Absicht unterstellt, Jesus prüfen zu wollen. Und beide „Chronisten“ waren bei dem eigentlichen Augenblick, den sie beschreiben, nicht dabei. Wie weit spielt es also eine Rolle, dass alle Evangelisten gleichzeitig Kinder ihrer jeweiligen Zeit waren?
- In der Kirchengeschichte gibt es viele Persönlichkeiten, die eigene Interessen hatten. Die ersten waren die Apostel. Der Gestalter des Christentums war Paulus. Das Christentum zur Staatsreligion hat Konstantin gemacht. Und das sind nur ein paar von vielen, die alle ihre eigenen Vorstellungen von richtig und falsch hatten. Wieso sollten gerade sie nicht auch nach eigenen Interessen und somit menschlich gehandelt haben?
- Da sind die Kirche und die enorme zeitliche Distanz. Die Welt hat sich in 2.000 Jahren grundlegend gewandelt. Und die Religion gar nicht? Wurde sie nicht doch von der Geschichte beeinflusst?
- Und was ist mit unseren Festen und Bräuchen? Das Christentum hat sich bei seiner Ausdehnung viele Sitten und Bräuche einverleibt, die heute ganz selbstverständlich als christlich gelten. Doch welche Beziehung gibt es zwischen den christlichen Festen, den heidnischen Bräuchen und den dahinterstehenden Beobachtungen, beispielsweise der Sonne, der Sterne und des Mondes?
Und mit all dem ist noch nicht einmal wirklich die oberste Tonschicht angekratzt. Was wir brauchen, sind Hammer und Meißel, mit denen wir den Ton Stück für Stück abschlagen – und sehen, was sich Goldenes darunter verbirgt. Also dann: Ärmel hoch und legen wir los.