Wie sollte man die Bibel verstehen? Wer es fundamentalistisch – also wörtlich – versucht, findet sich bald vor immensen Schwierigkeiten wieder. Denn wie soll man 2.000 Jahre alte Vorgaben für das Leben eins-zu-eins in die heutige Zeit übertragen? In eine Zeit, in der die Menschen einen ganz anderen Wissenstand über Naturgesetze und ein ganz anderes moralisches Grundverständnis haben? Interessanterweise versuchen viele an den Rändern des christlichen Glaubens genau das. Kreationisten, Evangelikale, Pfingstler – sie markieren aus meiner Sicht eine gefährliche Entwicklung, die nebenbei in eine völlig falsche Richtung geht.
Ebenso interessant, wie der aufkommende christliche Fundamentalismus, ist, wer genau vor einer solchen wörtlichen Bibelauslegung warnt: die römisch-katholische Kirche. In dem vatikanischen Dokument „Die Interpretation der Bibel in der Kirche“ aus dem Jahr 1993 hat sie das näher ausgeführt (und dabei Inhalte verschiedener Vorgängerdokumente zusammengefasst). Demnach ist die Basis der Bibelauslegung immer eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit den Bibeltexten. Man soll sie also in die Zeit einordnen, in der sie entstanden sind. Doch damit ist es noch lange nicht getan. Alle wissenschaftlichen Disziplinen – von der Literaturwissenschaft über die Soziologie bis zur Psychologie – können ihren Beitrag zu einem richtigen Bibelverständnis leisten. Auch gesellschaftliche Entwicklungen wie der Feminismus zahlen auf das richtige Bibelverständnis ein. Lediglich der fundamentalistische Ansatz ist zu vermeiden, weil er unweigerlich zu Problemen und Vorurteilen führt.
Soweit die Position der römisch-katholischen Kirche. Wobei selbstverständlich die Einschränkung gemacht wird, dass es katholische Exegeten und das Lehramt sind, denen die rechte Bibelauslegung vorbehalten ist.
Nun, ich bin Katholik, gehöre aber nicht zum Lehramt. Daher ist alles, was nun kommt, eine inoffizielle Exegese. Ich mach es trotzdem. (So ist das, wenn man dem Menschen einen freien Willen gibt 😉). Und, um es noch weiter einzuschränken, ist es auch nicht bis zum Ende durchdacht und ausrecherchiert, sondern vielmehr eine Idee oder „Arbeitshypothese“, die mir seit einiger Zeit durch den Kopf geht. Denn wenn ich nur durch Auslegung zur Bedeutung komme, dann kann ich dabei auch sehr konsequent vorgehen.
Heute ist der 6. Januar, der Gedenktag der Heiligen drei Könige. Drei Weise aus dem Morgenland besuchten das gerade geborene Christuskind, um wertvolle Geschenke zu bringen: Weihrauch, Myrrhe und Gold. Niemand weiß, wer sie waren, woher sie kamen, wieso sie kamen. Die Sterndeuter aus dem Osten gelten längst schon als Legende. Die Bedeutung der Gaben ist schon lange übertragen worden. Weihrauch steht für die Heiligkeit, Gold für den königlichen Status und Myrrhe steht für die Tugendhaftigkeit Jesu.
Ich möchte an dieser Stelle noch einen Schritt weitergehen und die Sterndeuter aus dem Osten komplett als Allegorien verstehen. Schauen wir einmal auf die biblische Welt: Auf der einen Seite ist das Judentum als Religion. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche weitere Einflüsse: Die Römer, der Hellenismus, die gesamte griechische Philosophie – all das gehört zum Gesamtbild jener Zeit. Und auch im Osten entwickeln sich Weisheitslehren. Hinduismus und Buddhismus haben ihre Wurzeln ebenfalls in der damaligen Zeit. In den heiligen drei Königen nehmen die neuen Einflüsse aus dem Osten eine allegorische Form an: Das Gold, das gebracht wird, versinnbildlicht den Anspruch einer neuen Lehre, sich allumfassend zu verbreiten – den Herrschaftsanspruch. Der Weihrauch steht für einen religiösen Umbruch, der fernöstliche Einflüsse in die jüdischen Traditionen einbindet. Und der Weise, der die Myrrhe – eine der am längsten bekannten Arzneien – bringt, steht für die Medizin und die Heilkunst, deren Anwendung sich später in vielen Wundern widerspiegelt. Die drei Allegorien unterstreichen die Zeitenwende, für die Jesus steht und die die Grundfeste des Judentums erschüttert.
Wie geschrieben ist das nur die Skizze einer Idee, der es nachzugehen gilt. Und sicher geht diese Idee in letzter Konsequenz über das katholische Lehramt hinaus. Spannend ist sie allemal.