„Die Bibel? Das ist doch dieses Buch mit der sprechenden Schlange und dem Typen, der über das Wasser geht!“
Nein.
Ja.
Also – es ist kompliziert. Oder auch nicht. Wenn man nicht immer wieder den einen Fehler machen würde:
Die heutigen Maßstäbe an die Texte der Bibel anlegen.
Denn schauen wir doch einmal genauer hin:
- Die Texte der Bibel sind rund 2.000 Jahre alt – was das Neue Testament betrifft. Beim Alten Testament sind sie noch weitaus älter.
- Die Texte der Bibel können daher gar nicht die heutige Lebenswirklichkeit widerspiegeln.
- Die Texte wurden von Menschen geschrieben, die den Gepflogenheiten der damaligen Zeit folgten.
- Die Welt war eine ganz andere als heute.
Wer alles wortwörtlich nimmt, was in der Bibel steht, hat es daher leicht, sich abzukanzeln. Und letztlich geht es bei dem eingangs gebrachten Zitat ja auch darum, sich nicht mit dem Thema beschäftigen zu wollen. Das ist ok, allerdings gibt es auch gute Gründe, die Texte genauer zu entdecken.
Schauen wir uns die Welt zur Zeitenwende mal mit Blick auf die Bevölkerungszahl an: Schätzungen zufolge lebten über die gesamte Welt verteilt rund 188 Millionen Menschen. Andere Quellen sprechen von 300 Millionen. Doch wie dem auch sei: Es waren weitaus weniger als heute. Noch einmal 2.000 Jahre zurückdatiert, also im Jahr 2.000 vor Christus, waren es gerade einmal 72 Millionen Menschen. Die wenigsten der damals lebenden Menschen konnten lesen und schreiben. Und genau in diesem Umfeld entstanden die Texte der Bibel.
Das bedeutet:
- Die Texte der Bibel sind einige der ältesten schriftlichen Zeugnisse der Menschheit.
- Oder anders gesagt: In den Texten steckt das geballte Wissen der Menschheit zur damaligen Zeit.
Lassen wir die Frage, ob die Bibel jetzt das Wort Gottes ist oder nicht, einmal komplett beiseite. Dann gewähren uns die Texte einen direkten Blick in die Vergangenheit.
- Wir erfahren, was den Menschen in der damaligen Zeit wichtig genug war, um es aufzuschreiben
- Wir können Rückschlüsse über ihre Denkweise ziehen, wenn wir betrachten, wie sie es aufgeschrieben haben.
Ich möchte ein Beispiel geben. Nehmen wir die Geschichte von Noah und der Sintflut. In Grundzügen gibt es diese Erzählung auch in anderen Quellen. Die größte Bekanntheit erzielte vor einigen Jahren der Gilgamesch-Epos, da eine Aufzeichnung auf die vorbiblische Zeit datiert wurde (was für die Wissenschaft eine Sensation und für Kreationisten ein Schock war.) Dieses Beispiel zeigt vor allem eins: Der Bericht über eine große Flut war weit verbreitet. Er wurde wahrscheinlich nicht von den Schreibern der Bibel erfunden, aber aufgenommen. Wir wissen damit zwar immer noch nicht, welcher Wahrheitsgehalt hinter der Geschichte steckt. Doch solche Erzählungen entstehen nicht ohne Grund.
Ein anderes Beispiel verdeutlicht, dass die Texte sich auf die damalige Zeit beziehen: Im dritten Buch Mose (Levitikus) werden in den Kapiteln 11 bis 15 über Seiten hinweg rituelle Reinheitsgebote beschrieben. Es wird unter anderem genau erklärt, was Aussatz ist und wie lange sich der Betroffene von der Gemeinschaft entfernen muss, bis ein Priester seine Rückkunft erlauben kann. Sehen wir doch einmal auf die Situation der Menschen, für die diese Gebote geschrieben wurden: Das Volk Israel war aus Ägypten ausgezogen und befand sich auf dem Weg durch die Wüste. Aus der Corona-Erfahrung der vergangenen Jahre heraus betrachtet: Wie wichtig muss es damals gewesen sein, dass sich Krankheiten nicht in der Gruppe verbreiteten? Die Reinheitsgebote legten Quarantäne-Dauern fest und die Priester hatten in dem Fall keine religiöse Aufgabe, sondern die eines Arztes.
Auch an dieser Stelle machen wir uns aus heutiger Sicht falsche Vorstellungen: Die strikte Trennung von Religion und Staat gab es zu jener Zeit nicht. Selbst im späteren Rom waren Politik und Religion eng verflochten. Die Trennung, die beispielsweise in Deutschland mit der Säkularisierung im 19. Jahrhundert begann, ist dagegen eine sehr moderne Idee.
Somit gibt es in den biblischen Texten vieles, das für uns aus heutiger Sicht nicht mehr relevant ist und vieles, das wir richtig deuten müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir nicht Lehren in den Texten finden, die sich auf unsere heutige Zeit übertragen lassen und die in heutiger Zeit noch gültig sind.
Und schließlich geht es noch darum, wie etwas aufgeschrieben ist. Hier ist erst einmal zu sagen: Die Verfasser der Bibel sind natürlich alles andere als neutral. Das gilt allerdings genauso für alle anderen antiken Geschichtsschreiber. Vieles, das wir über die Germanen wissen, wissen wir von Tacitus. Er beschrieb die Germanen zwar, hielt sie allerdings gleichzeitig für eine minderwertige Horde von Wilden. (Die Germanen haben nur leider nichts selbst aufgeschrieben, weswegen wir neben der experimentellen Archäologie nur auf Texte zurückgreifen können, die jemand über sie schrieb). Um diesen Gedanken auf die Bibel zu übertragen, blicke ich auf das Neue Testament und die Wunder, die Jesus gewirkt haben soll: Könnte es hier nicht auch sein, dass bestimmte Beschreibungen einem anderen Zweck dienten, als die Realität abzubilden? Historische Quellen müssen immer eingeordnet werden, um das authentische hinter dem Text zu finden. Das gilt natürlich auch für die biblischen Texte.
Und darum geht es mir:
- Hinterfragen, was gemeint sein könnte
- Deuten, was für uns heute noch Gültigkeit hat
- Übertragen, wie es uns in unserem Leben weiterhelfen kann
Daher werde ich mich immer wieder Stück für Stück mit Textpassagen der Bibel auseinandersetzen. Wenn du das genauso spannend findest wie ich, bist du herzlich eingeladen, dabei zu sein.