Naja, eine ganze Menge – mag es einem bei dieser Überschrift jetzt durch den Kopf gehen. Und sicher könnte ich sie noch über so manch weiteren Artikel stellen, den ich schreiben werde. Heute möchte ich aber zunächst auf eine grundlegende Sache hinaus, die für unseren Umgang mit der Religion entscheidend ist und die die Religion auch mit unserer heutigen, modernen Welt vereinbar macht. Es geht um die neue Sichtweise, die Jesus auf die Religion eröffnet hat.
Im Markusevangelium heißt es (Mk 2,27, Einheitsübersetzung):
- „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat.“
Ein kleiner, aber revolutionärer Satz, der die damalige Welt auf den Kopf stellte. Denn schauen wir einmal zurück ins Alte Testament, kann man einen ganz anderen Eindruck bekommen. In den fünf Büchern Mose geht es über lange Passagen um Regeln, die Gott den Menschen einzuhalten auferlegt. Das geht weit über die zehn Gebote hinaus. Es wird genau beschrieben, wie die Bundeslade auszusehen hat, wie die Zelte aufgebaut werden müssen, in denen sie steht, wer welches Zelt betreten darf, wann wie geopfert werden muss und so weiter und so fort. Alles ist genau festgelegt und einzuhalten, um Gott zu gefallen und ihn nicht zornig werden zu lassen. Als zwei Priester einmal ein Opfer in falscher Weise zur falschen Zeit bringen, werden sie von Gott getötet. Kurz gesagt: Wer die Schrift nicht einhält, erzürnt Gott. Daher sollte man sich besser an die Regeln halten. Und das überwachten die Schriftgelehrten – die Pharisäer.
Doch zur Zeit Jesu hatte sich die Welt weitergedreht. Die Juden waren längst sesshaft, die Texte des Alten Testaments zum Teil mehrere Jahrtausende als. Jesus war Jude und wollte auch das Judentum nicht abschaffen. Er steht in der Tradition des Judentums und nimmt als Messias Bezug auf die Schrift. Das gibt ihm die Legitimation, die Regeln des alten Bundes neu zu definieren: „Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.“ (Mk 2,28)
Den Pharisäer passte das nicht. Sie wollten nichts von ihrer Macht einbüßen, und stellten die genaue Einhaltung der Schrift über ihre Auslegung. Die Pharisäer kommen aus christlicher Sicht schlecht weg. Die Bezeichnung ist fast schon synonym zu dem Begriff der Scheinheiligkeit. In der Bibel bekommen sie es von Jesus stetig vor Augen geführt und stellen ihm im Gegenzug immer wieder Fallen. Sie wollen Vergehen haben, weswegen sie Jesus anklagen und verurteilen können. In der zitierten Szene heilte Jesus schließlich noch die Hand eines Kranken. So ist es kein Wunder, dass es am Ende heißt (Mk 3,6): „Da gingen die Pharisäer hinaus und fassten zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen.“
Ganz schön rabiat, aber durchaus konsequent. Aus heutiger, christlicher Sicht falsch, aus damaliger Sicht vielleicht sogar verständlich.
Aber übertragen wir das Ganze einmal auf heute: Sehen wir aktuell nicht eine ganz ähnliche Situation? Die Religion scheint in die Jahre gekommen und nicht mehr so recht mit der modernen Welt vereinbar. Die Texte des neuen Testaments sind inzwischen rund 2.000 Jahre alt. Heute ist es die Amtskirche, die die Regeln des Christentums festlegt und über ihre Einhaltung wacht. Heute ist es Rom, sind es der Papst, die Kardinäle und die Bischöfe, die wie die Pharisäer an den Regeln festhalten. Und je mehr die kirchliche Macht schwindet, desto mehr klammern sie sich daran. Wie die Pharisäer. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Bestrebungen des synodalen Weges in Deutschland ausgebremst werden.
Schauen wir auf Jesus, dürfen wir uns allerdings zur Neuinterpretation eingeladen fühlen. „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat“ kann man übertragen zu „Die Kirche wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für die Kirche.“
Wir dürfen interpretieren, wir dürfen die Bibel neu auslegen, wir dürfen diese Auslegung mit modernen Erkenntnissen zusammenbringen und auf die menschlichen Bedürfnisse anpassen. Dafür haben wir die Legitimation von Jesus, Gottes Sohn und somit von oberster Stelle. Ich nehme diese Einladung gerne an – ohne den Anspruch, der Messias zu sein, und in der Hoffnung, dass jetzt niemand beschließt, mich umzubringen 😉.